Die Osterzigarette
Die Szene ist bekannt: Kurz vor oder nach Ostern sind Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz mit kleinen Schoko-Ostereiern unterwegs. Jeder bekommt eines, Chefin oder Chef ebenso wie die unbeliebteste Person am Arbeitsplatz. Ostern ist Ostern, das steht über den täglichen Querelen.
Am intensivsten ist mir eine solche Szene von einem früheren Arbeitsplatz in Erinnerung. Wir waren eine Partie am Förderband; und einer der gefürchtetste Bandaufseher war dafür bekannt, dass er zu Weihnachten und Ostern jedem von uns (nicht zu gendern, wir waren ausschließlich Männer) kein Osterei, sondern eine Zigarette geschenkt hat. Eine gute Zigarette, nicht die Billigmarke. Jedem hat er sie persönlich gegeben, nicht pathetisch oder von oben herab, sondern mit einer Stimme, die er sonst das ganze Jahr über nicht gehabt hat. „Do, für di“, oder ähnlich hat er formuliert. Und er hat jeden Kollegen angesehen - auf Augenhöhe in bestem Sinn des Wortes. Echt.
In diesem Moment war alles zweitrangig: die Unzulänglichkeiten, die gebrüllten Kommandos und Zurechtweisungen, die Tricks von uns Arbeitern, uns dort und da das Leben trotzdem zu erleichtern, ja auch die eine oder andere Sabotage von uns.
Auch wenn ich das Geheimnis von Tod und Auferstehung Christi mit diesen Erinnerungen keinesfalls herabwürdigen will, so ist mir doch in dieser Szene ein wenig von Ostern aufgegangen. Keiner von uns hat verdient, was Christus für uns in Leiden und Kreuz getan hat, und noch weniger die Auferstehung, in der er uns die Ewigkeit erschlossen hat. Und dennoch kann ich die unverdiente Freude über das, was Christus für mich getan hat, die Freude, dass es Ostern gibt, ein Stück weitertragen. Ich könnte im Stillen denken: „Liebe Kollegin, lieber Kollege, lieber Mitmensch: Ich habe Ostern erlebt. Ostern ist größer als alles, was wir kennen. Deshalb soll im Angesicht dieses Ereignisses jeder Streit, jede Freudlosigkeit zweitrangig sein. Hier, nimm ein Osterei, einen Schokohasen, oder ein anderes Zeichen von mir. Es soll ausdrücken, dass wir uns freuen dürfen. Ganz gleich, was war“ und dabei in aller Einfachheit ein Osterei übergeben.
Ein echt frohes und frohmachendes Osterfest wünscht
Walter Schreiber, Stadtkirchenreferent